Die ISS-Mission, die jeden Cent wert ist

Er ist wieder auf der Erde! Nach einem wilden Ritt in der Sojus-Kapsel sind Alexander Gerst und seine beiden Kollegen heute Morgen planmäßig wieder zur Erde zurückgekehrt. Ich gebe zu, dass mir ein Stein vom Herzen gefallen ist, als ich das Trio lachend in ihren Schaukelstühlen mitten in der Kasachischen Steppe gesehen habe: alle drei offenbar heil und gesund. Denn obwohl ich ihn nicht persönlich kenne, ist Alexander Gerst mir in den vergangenen Monaten verdammt nah gekommen. Der Grund: seine spannenden Berichte, die aufschlussreichen Interviews, die berührenden Bilder und die darin in jedem Pixel enthaltene tiefe Freude, die täglich über Onlinemedien und soziale Netzwerke auf meinen Bildschirm geschwappt sind, Internet sei dank! Vieles davon hat mich bis in die tiefste Seele berührt. Willkommen zurück also, Alexander Gerst, Reid Wiseman und Maxim Suraev!

Natürlich lassen es sich auch die Kritiker nicht nehmen, dieselben Kanäle für ihre reflexartigen Nörgeleien zu nutzen. Während das fast schon obligatorische nationalistische Krakele schnell von den Moderatoren entfernt worden ist, blieb das engstirnige „Kennen wir nicht, wollen wir nicht, brauchen wir nicht“-Geplänkel stehen. Man habe ja gar nicht viel mitbekommen von der ISS außer einem Start, einer explodierten Versorgungsrakete und eben der Rückkehr, heißt es zum Beispiel in einem Kommentar bei Spiegel.de – erstaunlich eigentlich: Gerade auf diesem Portal gab es immer wieder frei Haus Zwischenberichte, Interviews und Links: Man hätte nur hinschauen müssen. Es werde „Zeit, das Milliardengrab endlich im Pazifik zu versenken“, fordert der Kommentator zudem. Nein, sage ich, wird es nicht! Nur weil ein Teil der Menschheit zu ignorant ist, hinzuschauen, darf einem anderen Teil nicht die Chance zum Entdecken, Forschen und Lernen genommen werden!

Kosten von einem Euro pro Einwohner

Gut, man spricht nicht umsonst von der ISS als der „teuersten WG der Welt“. 80 Millionen Euro hat allein Alexander Gersts Mission gekostet – im ersten Moment klingt das tatsächlich viel. Wenn man es jedoch auf die Bevölkerung Deutschlands umrechnet, relativiert sich der Betrag gleich wieder, finde ich: Rund einen Euro hat jeder Deutsche indirekt zu der Mission Blue Dot beigesteuert. Dafür bekommen wir jede Menge wertvolle wissenschaftliche Ergebnisse, die die Forscher noch auf Jahre beschäftigen werden – von dem Hunger auf Wissen, das bei dem einen oder anderen Schulkind, Facebook-Follower und Nachrichtengucker erwacht sein dürfte, ganz zu schweigen.

Mindestens genauso wichtig ist die Beteiligung an einem wahrhaft großartigen internationalen Projekt, die wir uns durch gerade mal einen Euro pro Einwohner erkaufen durften: Dort oben zählt Nationalität kaum mehr als der Flaggen-Aufnäher auf dem Raumanzug, das Überleben wird buchstäblich durch tägliche Völkerverständigung gesichert, und Russen und Amerikaner tauschten in der gemeinsamen Mittagspause ihre Verpflegungspakete. Aus 400 Kilometern Höhe seien Grenzen nicht mehr zu erkennen, postete Alexander Gerst am 9. November, pünktlich zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Und genauso hat die Besatzung der ISS agiert: als eine Mannschaft, die sich nicht über Politik streitet, sondern die Menschheit voranbringt. Als Freunde, die sich auf einander verlassen müssen und können.

Alexander Gerst hat alle Grenzen hinter sich gelassen

Ich finde, dass sich niemand dieser Gemeinschaft und Frieden stiftenden Aufgabe entziehen darf, wenn er die Gelegenheit dazu hat – und die ESA, das DLR, meinetwegen auch der deutsche Steuerzahler hatten die Gelegenheit. Alexander Gerst war und ist der beste Botschafter, den ich mir hätte wünschen können. Er hat seine Nation würdig vertreten, gerade indem er alle Grenzen hinter sich gelassen hat. Gleichzeitig hat er alle, die auch nur einen Funken Interesse aufbringen konnten, an dieser großartigen Reise teilhaben lassen und sein persönliches Abenteuer zu einer bewusstseinsformenden Erfahrung für uns alle gemacht.

Ich habe schon länger Spaß an Raumfahrt, Technik, an Entdeckungen und Zusammenhängen. Durch die großartigen Bilder, die klugen Kommentare und die unglaublich persönlichen Betrachtungen, die Alexander Gerst in beeindruckend intimen Worten mit einem Massenpublikum teilte, durfte ich noch eine weitere Ebene dieser Wissenschaft erfahren: die emotionale. Durch die Augen eines völlig Fremden habe ich das Staunen über unseren Heimatplaneten neu gelernt.

Und das ist mir jeden Cent wert.

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