Als ich heute Nacht die ersten Meldungen von den Anschlägen in Paris gesehen habe, war ich fassungslos. So viele Tote, so viele Verletzte! So viel Angst, so viel Leid! Auch ich hatte Angst und habe sie immer noch. Nicht in erster Linie vor weiteren Anschlägen, sondern vor allem um unsere Gesellschaft, unsere Menschlichkeit. Angst, dass die Terroristen ihr Ziel erreichen mit ihren miesen, feigen Morden aus dem Hinterhalt, denn nichts anderes sind ihre Taten.
Ich habe Angst, dass Europa im Schock die Grenzen dichtmacht, dass Menschen ihr Vertrauen in andere Menschen verlieren, dass Nächstenliebe der Verunsicherung weicht. Ich habe Angst, dass die Demagogen die Trauer um die Opfer von Paris für Hetze und Hass missbrauchen. Ich habe Angst vor einem immer tieferen Riss durch unsere Gesellschaft. Ich trauere um meine kindliche Illusion von einer doch noch irgendwie heilen Welt, zumindest um mich herum.
Wir haben denselben Feind
Ich habe Angst, dass sich immer mehr Menschen verführen lassen und ihr Misstrauen, ihre Wut und ihre Furcht an den Flüchtlingen auslassen, ihnen die dringend benötigte Hilfe versagen. Dabei fliehen diese Menschen doch ebenfalls vor Terror, Mord und Fanatismus. Um es drastisch auszudrücken: Die meisten Flüchtlinge haben denselben Feind wie wir!
Und an alle, die behaupten, die Terroristen wären doch bestimmt erst mit den Flüchtlingen ins Land gekommen: Ich bin mir absolut sicher, dass die Verantwortlichen für einen Anschlag wie diesen andere Möglichkeiten zur Einreise hätten, als mit dem von ihnen selbst vertriebenen Fußvolk per Schlepperboot übers Mittelmeer zu dümpeln und sich dann frierend in Essensschlangen einzureihen. So ein Blödsinn.
Lasst Angst nicht das Ruder übernehmen
Ich will aber keine Angst haben, denn – nie hätte ich gedacht, dass ich einmal Angela Merkel zitiere –, wie sie neulich einer „Besorgten Bürgerin“ gegenüber sagte: Angst ist ein schlechter Ratgeber.
Denn wenn wir jetzt aus Angst Menschen, die vor Terror Mord und Not fliehen, die Hilfe verweigern, wenn wir jetzt aus Angst die Menschlichkeit verlieren, wenn wir jetzt aus Angst unsere Überzeugung verraten, haben die Terroristen genau das erreicht, was sie wollten.
Keiner dieser Tode gestern Abend in Paris hatte irgendeinen Sinn, und ich weigere mich, ihnen nachträglich einen zu geben. Ich will nicht, dass die Mörder irgendeinen Erfolg mit ihrem Anschlag hatten. Ich will nicht, dass diese genommenen Leben den Verantwortlichen irgendeinen Nutzen bringen.
Für uns Überlebende heißt das: Lasst uns ihnen nicht geben was sie wollen. Lasst Angst nicht das Ruder übernehmen.
Für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Für die Menschlichkeit. #NousSommesUnis #refugeeswelcome