Ätzende Meinungspampe

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich mich sehr geärgert, dass die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung die Kommentarfunktion zu ihren Artikeln faktisch gestrichen hat. Man konnte noch zu ausgewählten Themen und Fragestellungen diskutieren, aber nicht unmittelbar und mir zu gelenkt. Für mich hatte die Site dadurch eine Dimension verloren: Ich habe immer gern Kommentare gelesen – teils, um einen Eindruck von der „Volksseele“ zu bekommen (der zugegebenermaßen ziemlich verfälscht ist, weil die Kommentarspalten in der Regel von einer sehr speziellen Art von Les… äh, Nutzer beherrscht werden), teils um mich angenehm und von sicherer Warte zu gruseln – so wie ich auch manchmal die Auslage von Fischtheken betrachte.

Inzwischen, das habe ich heute Morgen festgestellt, ist ein Besuch auf sueddeutsche.de geradezu eine Wohltat für mich, springt einem da doch einfach mal nicht die ätzende Meinungspampe einer braunen Masse entgegen, die selbst aus einem Kindertheater-Bericht eine Hetzschrift gegen Flüchtlinge zu machen imstande ist. Von sicherer Warte kann da keine Rede mehr sein, sind diese Kommentare doch inzwischen verbale Brandsätze.

Es gibt kein Beobachten von sicherer Warte mehr

Ich habe wirklich keinen Bock mehr auf die Kommentare, die Gegenkommentare und die ganzen Scheinargumente, die gerne mal in „Gutmensch“-Beschimpfungen gipfeln. Ich habe die Nase voll von all den unterbelichteten, beratungsresistenten Vollpfosten, die etwas von „Geld lieber für Bildung ausgeben“ faseln, aber gleichzeitig Turnhallen von Schulen anzünden, weil da für ein paar Wochen Flüchtlinge unterkommen sollen (von „wohnen“ kann so oder so keine Rede sein). Die sich freuen, wenn 71 Menschen (darunter 59 Männer) im Lastwagen ersticken, weil dann „59 deutsche Frauen sicher sind“. Es macht mich müde und schlecht ist mir auch. Sehr schlecht.

Ich geb’s zu: Eigentlich hatte ich noch bis vor kurzem keine Lust, explizite Stellung zu beziehen gegen Rechts – einfach weil ich dachte, das Thema sei größtenteils durch in diesem Lande, von ein paar unverbesserlichen, aber nicht weiter ins Gewicht fallenden Idioten mal abgesehen. Das, so habe ich gehofft, würde sich schon selbst regeln, irgendwie. Ich seh’s ja ein, dass das unfassbar naiv war. Was habe ich doch auf einer Insel der Glückseligkeit gelebt.

Die rechten Dumpfbacken machen mir Angst um unsere Kultur

Inzwischen habe ich Angst – Angst um unsere mühsam aufgebaute Kultur, die von ein paar rechten, trotz ihrer sozialen Dummheit leider sehr willensstarken Dumpfbacken in Grund und Boden geprügelt wird. Um den sozialen Frieden in unserem Land, in dem bisher bestimmt nicht alles super war, aber in dem es sich im Großen und Ganzen doch aufrecht und im Einklang mit anderen Kulturen leben ließ. Und ich trauere um die Sorglosigkeit, die ein heißer Sommer doch eigentlich mit sich bringen sollte.

Nicht zuletzt habe ich Angst, dass es zu vielen eigentlich mit sozialem Verständnis gesegneten Menschen sehr bald zu unangenehm, lästig und unbequem wird, immer und immer wieder gegen das braune Pack anzureden, anzuschreiben, anzugehen. Dass die Demagogen mit ihrer leider viel größeren Energie und ihrem viel eindimensionaleren Denken es schaffen, die breite Masse müde und träge zu machen. Dass sie wie so viele Extremisten die Überhand gewinnen, obwohl sie doch – man lasse mir bitte diesen Glauben – in der absoluten Minderheit sind. Ich habe Angst, dass auch ich müde werde.

Einmal Schimpfwort und zurück

Eine Kleinigkeit – bei dieser ganzen Schwere fast schon albern – finde ich in diesem Diskussionswust ja sehr spannend: die sich wandelnde Bedeutung des Worts „guter Mensch“ oder kurz „Gutmensch“. Klar, es war schon immer eine Schande, dass dieser Ausdruck überhaupt zu einem Schimpfwort werden konnte. Das hat auch die Gesellschaft für Deutsche Sprache angemerkt, als sie den Begriff 2011 als „Unwort des Jahres“ kürte. Inzwischen wird der Begriff mehr und mehr zu einer Auszeichnung – frei nach dem Motto: „Die Feindbilder meines Feindes sind meine Auszeichnung“.

Wenn ich wählen muss, bin ich Gutmensch. Und ich bin’s gern.

 

 

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