Bendgate oder die enttäuschte Apple-Liebe

Skandal! Das iPhone 6 Plus verbiegt sich, wenn man sich draufsetzt! Schon neun Beschwerden bei mehreren Millionen verkaufter Geräte! Und wenn man sich sehr anstrengt, kann man es auch per Hand verbiegen – zu sehen in diversen Videos, die gerade das Internet überschwemmen. Sogar ein Name würde für das Phänomen schon gefunden: Bendgate.

Ganz ehrlich, Leute: Ist das euer Ernst? Zugegeben: Ich habe gut reden, ich besitze kein iPhone, geschweige denn ein iPhone 6Plus. Große Bildschirme bei Telefonen sind mir suspekt, deshalb habe ich tatsächlich die Mini-Ausführung des koreanischen Konkurrenten und bin happy damit. Aber um mich geht es ja jetzt nicht, sondern um eure iPhones. Oder besser gesagt um das, was da gerade abgeht. Um eure enttäuschte Liebe. Denn genau danach klingen die Abgesänge, die da gerade wie Pilze aus dem Social Web sprießen, wenn man die zu erwartende Schadenfreude der Apple-Hasser mal außen vor lässt.

Das Lieblingsspielzeug widersetzt sich

Ja, ihr seid enttäuscht: Ihr wart fest entschlossen, auch die neueste Version eures Lieblingsspielzeugs in euer Herz zu schließen – doch die widersetzt sich. Das iPhone 6 ist offenbar nicht so perfekt, wie ihr es euch ausgemalt habt. Es ist nicht so robust, elegant und schlicht im Design wie seine Vorgänger, nicht so handschmeichelnd wie gewünscht und alles in allem wohl doch nicht so megasupertoll wie angekündigt.

Aber ganz ehrlich: Wie in jeder Liebesbeziehung gehören auch hier zwei Seiten zum Scheitern. Ganz offenbar waren die Ansprüche zu hoch, die Forderungen zu laut und der Druck zu hoch – und damit ist zumindest an dieser Stelle nicht der physische gemeint. Das Ergebnis: Apple hat sich verbogen – und im Anschluss daran auch das neue iPhone. Das ist fast wie Voodoo umgekehrt. Ja, vielleicht ist das neue iPhone zu dünn, vielleicht ist der ein oder andere Knopf blöder angebracht, als man es von Apple-Produkten bisher kannte, und ja, vielleicht sticht die Kamera hinten hervor wie ein Pickel, wie Bild-Redakteur Julian Reichelt in seinem Abgesang auf Apple schreibt. Ja, Abgesang! Wegen eines Telefons!

Schneller, größer, flacher, biegsamer

Lassen wir doch mal die Kirche im Dorf: Ihr Kunden wolltet es doch so. Ihr habt nach immer größeren Displays und immer dünneren Geräten geschrien, nach mehr Rechenleistung, wolltet Kameras, die eine höhere Auflösung als die Boliden von Canon & Co. haben, und fordertet Funktionen, für die normalerweise ein ganzes Arsenal an elektronischen Geräten, Ausweisen und Kreditkarten zuständig ist. Am besten alles in einem schicken Gerät im gewohnt schlicht-stylischen Apple Design, wie immer ohne Kompromisse. Findet den Fehler! Nein, nicht an den Geräten, an euren Forderungen!

Die Firma eurer Träume, die in euch so treue Kunden hat wie kein anderer Smartphone-Hersteller der Welt, hat ihr Möglichstes getan. Und vielleicht war das das Problem. Das Unternehmen, das die Standards in der Vergangenheit immer gesetzt und Wünsche nicht nur erfüllt, sondern überhaupt erst geweckt hat, ist diesen jetzt hinterhergelaufen. Dafür hat Apple Kompromisse gemacht, um ihren Kunden alle Wünsche zu erfüllen – wohl kaum aus altruistischen, sondern aus finanziellen Beweggründen, das ist schon klar – und herausgekommen ist ein dünnes, schickes, funktionales Gerät. Und dann platziert ihr euren Hintern drauf!

Ein Telefon? Zum Telefonieren?

Macht ihr das eigentlich auch mit euren Notebooks, mit euren Kameras, mit euren Stereo-Anlagen, mit euren Navis? „Aber das ist ein Telefon, das transportiert man halt in der Hosentasche!“, werden jetzt einige Leser einwenden. Ach – ein Telefon? Wer telefoniert denn noch ernsthaft mit dem Ding? Eigentlich ein Wunder, dass es sofort aufgefallen war, dass man mit dem gerade mal eine halbe Stunde erhältlichen Sicherheitsupdate iOS 8.0.1 niemanden anrufen konnte.

Wo wir gerade dabei sind: Was genau muss so ein Smartphone eigentlich können, um es allen recht zu machen? Der Spot eines Mobilfunk-Unternehmens liefert die passenden Bilder dazu: Da spielt der eine Tischtennis mit seinem Smartphone und der nächste macht die Bierflasche damit auf. Was kommt als nächstes? Der Aufprallschutz für den 200-Meter-Abgang nach dem Klippen-Selfie mit automatischem Fallgeschwindigkeits-Posting bei Facebook? Die Pfannenkratzer-App? Die Weichen-Funktion für ICEs: Einfach in die Schienen stecken, und der Zug fährt den gewünschten Weg? Gut würde es sich vielleicht auch als Badethermometer machen – dann aber Achtung bei unbeabsichtigt gespeicherten Unterwasser-Nacktbildern in der Cloud.

Tipps für eine gelungene Beziehung

Vielleicht hätte Apple das Verbiegen-beim-schwungvoll-Draufsetzen einfach als weiteres Feature präsentieren sollen, im Sinne von: „Passt sich der Körperform an“. Dann wären alle zufrieden – nein, begeistert! – gewesen und es hätte sich nicht jeder zweite „Tester“ für ein weiteres Skandal-Video an seinem neuen iPhone vergreifen müssen.

Was bleibt? Der Rat, den jedes Paar in einer Krise beherzigen sollte: Sprecht euch aus, schlaft eine Nacht drüber und tragt euren Streit nicht an die Öffentlichkeit. Schraubt die Ansprüche herunter, versucht einander zu verstehen, lebt mit den Fehlern des Partners und seht das Gute darin. Und wenn gar nichts mehr geht, bleibt immer noch die Rückkehr zum Ex, bei dem nostalgisch verklärt irgendwie alles besser, schöner und toller war.

 

Dieser Beitrag erschien am 28. September in ähnlicher Form auch bei Ingenieur.de

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